Konzertberichte

“Hey NOAF”: Harte Klänge begeistern in Wörrstadt

„Hey NOAF“ schallte es am 24. und 25. August 2018 zum 14. Mal über die Äcker von Wörrstadt, wo sich junge und alteingesessene Musiker sowie Fans der harten Klänge zum Ende der Festivalsaison versammeln und gemeinsam rocken, zuhören, trinken, essen, moshen und sich in den Circlepit stürzen oder eine Wall of Death errichten, um sich anschließend kollektiv über den Haufen rennen zu lassen. Samael, Sick of it all, Kadavar, The Black Dahlia Murder und zahlreiche andere Bands trugen auch dieses Jahr zu einem gelungenen Klassentreffen der Metal- und Harcoregemeinde bei.

Trotz der stetig wachsenden Anzahl an Festivals zählt das Neuborn Open Air Festival (NOAF) für uns zu den Highlights des Sommers. Dies liegt nicht zuletzt an der familiären Atmosphäre, dem friedlichen Miteinander der Fans unterschiedlicher Generationen, den fairen Preisen und der hingebungsvollen und teils ehrenamtlichen Arbeit von Veranstaltern sowie Helfern auf dem Gelände und hinter den Kulissen. Am Wallfahrtsort angekommen verschaffen wir uns gleich einen Überblick und finden bereits bestens gelaunte Menschen vor, die sich langsam Richtung Bühne bewegen. Zum Zeltplatz hoch dröhnen die Klänge von All Its Grace, dem Opener an diesem schönen Festivaltag. Viele sind bereits Donnerstagabend angereist und haben nach den Auftritten der Opening Acts auf dem Campingplatz mit dem Feiern begonnen, was nicht spurlos an jedem vorbeigegangen ist. Das bekommen Counterparts aus Kanada zu spüren, die sich bei sommerlichen Temperaturen und leichter Bewölkung noch mit einer kleineren Anzahl Zuschauer begnügen müssen. Sie liefern trotzdem pflichtbewusst ab und präsentieren klassischem Hardcore, der durch eingängige melodische Riffs mit dem Vorurteil bricht, dass Hardcore lediglich eine eintönige Form der Protestbekundung sei.  Auch wenn nicht alle Bandmitglieder bester Laune sind (“It’s early, you know!”) ist die Show energetisch und ein Wachmacher für alle, die noch nicht so lang auf den Beinen sind.

Der legendäre Zahni begrüßt das geschätzte Publikum und kann seine Vorfreude auf die bevorstehenden Auftritte kaum verbergen. Warbringer gewinnen die Gunst des Publikums bereits mit dem Soundcheck (“Check one two, check for delay, This is not Czech Republic”) und stimmen deutlich metal-lastigere Töne an. Der Vorplatz beginnt sich zu füllen und das illustre Volk versammelt sich für eine kraftvolle Thrashmetalshow. Ein Moshpit erhebt sich, Haare fliegen und das NOAF nimmt Fahrt auf, als die Doublebass-Attacken über das Ackerland wummern. Die Speed- und Thrashmetalfraktion dankt es den Kaliforniern mit einem Circlepit. Der letzte Maulwurf dürfte mittlerweile verstanden haben: Warbringer are here und Sänger John Nevill bellt mit großen Gesten seine Botschaft gen Himmel (“We have enough Bullets to hit you MotherF#*%ers!”). Mit einer Wall of Death vom Feinsten verabschieden sie sich unter Beifall.

Deserted Fear werden bereits erwartet und gewinnen den Long Hair Contest. Thrash Metal mit allen Tugenden des Genres werden hier zelebriert, und es finden sich einige Kenner im Publikum, welche die Band feiern. Zwischendurch stärkte man sich bei Kartoffelpuffer oder Steakbrötchen oder traditionell beim kühlen Bier. Audrey Horne aus Bergen betreten dann wieder gemäßigtere Gefilde. Klassischer Hardrock ohne den Anspruch eine bloße Hommage an alte Zeiten zu sein, sorgt beim Publikum dennoch für Begeisterung und stimmt auf Kadavar ein, die deutlich roher daherkommen. Ein geleckter Sänger in Schlips und Hemd, der dem Publikum nach kurzer Aufwärmphase aber zu gefallen scheint und auch mehr weibliche Gäste vor die Bühne spült, tauscht Singen gegen das Schreien vergangener Auftritte ein. Auch das ist bemerkenswert auf dem NOAF, denn langweilig wird es eigentlich nie. Auch die Lightshow von Audrey Horne ist lebhafter und der Sound wirkt zeitweise fast poppig im Stile der Killers. Mit choreographischen Einlagen der Gitarristen kommt endlich ein bisschen Poserrock ins Programm, ab dem dritten Lied haben sie die Fans eingefangen und bei hymnenartigen Refrains kann schließlich kaum ein Zuschauer oder eine Zuschauerin still stehen. Die Menge erweist sich wieder mal als tolerantes Publikum, empfänglich für gute bzw. gut gemachte Musik. Mit Einbruch der Dämmerung entfacht das NOAF dann seinen ganz eigenen Charme. Nach einer Stärkung aus dem Essenszelt oder der Versorgung mit Flüssignahrung kann es losgehen: Die Headliner können kommen!

Kadavar steigen nach einem ausgedehnten Soundcheck voll in die Eisen. Man spürt schnell: Die Soundtüftler wollen genau so klingen wie sie es tun, auch wenn die Songs immer einen First -take-Charakter haben. Von allen Zutaten wird  immer die passende ausgewählt und auch für das Auge ist etwas dabei. Der Einsatz von Licht und Farben sowie Diskokugeln erzeugen eine psychedelische Stimmung, Anleihen von Michelangelos Gemälde “Die Erschaffung Adams” finden sich im Bühnenbild wieder und schaffen einen Rahmen und den drei Ausnahmemusikern gleichermaßen eine Plattform. Dabei gibt es keine erkennbare Hierarchie. Zwar lebt der Sound in erster Linie von den bluesig-hypnotischen Riffs von Sänger und Gitarrist Christoph “Lupus” Lindemann, aber jedes der Bandmitglieder hat eine zentrale Funktion und steht für sich im Mittelpunkt. Der großgewachsene Schlagzeuger,  Christoph “Tiger” Bartelt wird von unten beleuchtet, durch einen Ventilator fliegen die Haare und das Set bebt, wenn er die Trommeln bearbeitet, Bassist Simon “Dragon” Bouteloup ist stets in Bewegung und Sänger Lindemann wirft die Haare, verliert sich in der perfekten Sogwirkung der Songs, die Fremdartigkeit und Eingängigkeit auf seltsame Weise miteinander vereinen. Es macht Spaß zu sehen, wie junge Bands wie diese ihren Sound perfektionieren konnten, ohne sich einem Massengeschmack zu unterwerfen.

„Let’s celebrate like we don’t give a fuck“ schreit Sänger Lou Koller von Sick of it all ins Mikrofon und lässt die letzten Hunde von der Leine. Die New Yorker sind schon lange genug im Geschäft, um zu wissen, wie sie ein Festivalpublikum dazu bringen, alle Hemmungen fallen zu lassen, zeigen sich fit und bestens gelaunt, was ihnen und ihrer 80-minütigen Show frenetischen Beifall beschert. Das Quartett um die beiden Brüder Pete und Lou Koller sind nach wie vor Ikonen der Hardcore Szene und stellen zum Abschluss des ersten NOAF-Tages unter Beweis, dass sie trotz fortgeschrittenen Alters ihren Mix aus Old School Sound mit Einsprengseln aus Metal, Punk und Oi! in einer perfekten Liveshow vereinen können. 

Mit etwas kühleren Temperaturen startet der zweite Tag fast genauso gewaltig wie eh und je auf dem Acker bei Wörrstadt. Die verkaterten Metalheads werden von Ska-Rockern Denyal, deren Gitarrist trotz lädiertem Bein im Rock’n’Rollstuhl auftritt, aus ihren Zelten geweckt. Und wer zu Street Dogs im Anschluss noch nicht mit seinem Bier in der Hand antanzt, der sollte dann aber spätestens zu Metal Inquisitor vor der Bühne sein. Die Thrasher sind sichtlich gut drauf, was die feierwütige Menge dankbar annimmt und zelebriert. Es ist ein schweißtreibender Gig für alle, was durch die herauskommende Sonne verstärkt wurde. Ständig wirbelte Staub vom sandigen Boden auf, der sich mit dem nicht gerade sparsam eingesetzten Nebel der nachfolgenden Band mischt. Inmitten dieser Nebelwand treten DevilDriver vor die aufgeheizte Menge, die sie schon mit Spannung erwarten. Vom “heimlichen Highlight des Tages” ist gesprochen worden. In der Tat legen die Fünf aus Santa Barbara ein brachiales und unterhaltsames Brett an den Tag.

Mit ordentlicher Fanschar im Schlepptau präsentieren sich The Black Dahlia Murder. Jetzt kommen sogar die Ordner ins Schwitzen. Denn die Crowdsufer schießen auf einmal wie Pilze aus dem Boden, werden nach vorne gereicht, um von der stets freundlichen Security unverletzt auf den Boden gebracht zu werden. Zur Abkühlung setzt am Ende des Gigs ein leichter Nieselregen ein, der aber bis zum Beginn von Orden Ogan rechtzeitig wieder aufhört. Die Band spielt heute mit einem Handikap, da der Sänger sich den Daumen gebrochen hat und auf seine Gitarre verzichten muss. Dafür verrichtet der eigentliche Bassist – und somit auch die ganze Combo – auf den Bass. Nichts desto trotz kann das Quartett voll begeistern. Zu guter Schluss kommt nicht nur unser musikalisches Highlight des Festivals. Samael, die alt eingesessene Band aus der Schweiz um Frontmann Vorphalack, spielt vor vollem Haus. Zu Liedern wie „Angel Of Wrath“ oder „Rain“ singen und tanzen nicht nur die eingefleischten Fans mit. Wir wurden mitgerissen und sind begeistert sowohl vom Headliner als auch wieder vom gesamten Neuborn Open Air Festivals.

Dankbar und erschöpft verlassen wir das Festival und genauso satt sowie zufrieden wirken auch die anderen Zuschauerinnen und Zuschauer, die auf dem Gelände und in den Zelten noch Weiterfeiern dürften. Bis zum nächsten Jahr, wenn es bei Wörrstadt wieder “Hey NOAF” über den Acker dröhnt.